Bei jeder WM bekomme ich unendlich oft die Frage gestellt: Für welche Mannschaft bist du eigentlich? Und was ist, wenn Deutschland gegen Brasilien spielt? Nun ja, das wird in dieser WM nicht mehr passieren… Aber das letzte Mal war ja schlimm genug, sodass es für einige WMs gereicht hat. Das war wirklich ein furchtbares Spiel. Ich weiß nicht mehr genau, wann es war, ob es nach dem dritten oder vierten Tor war, aber Irgendwann habe ich es nicht mehr ausgehalten und mich in der Toilette versteckt.
Aber das ist ja nur eins der Dinge, mit denen man sich auseinandersetzen muss, wenn man mehrere Nationalitäten in einer Brust hat – die WM. Ich habe das Glück, dass meine beiden Nationalitäten sich ansonsten ja ganz gern mögen. Die Deutschen haben meistens ein positives Bild der Brasilianer, dieser Party-People. Und die Brasilianer sind meistens von der Kompetenz, der Ordnung und Zuverlässigkeit der Deutschen beeindruckt. Aber wie man in diesen beiden stereotypischen Bildern sehen kann, sind es zwei absolut unterschiedliche Völker. Und natürlich findet man ein bisschen von jedem Stereotyp in sich wieder. Gleichzeitig ist man aber auch immer ein bisschen unvollständig.
Richtig schräg wird es dann, wenn man überall immer der Ausländer ist. Wenn ich in Brasilien bin, bin ich die Deutsche. Hier in Deutschland bin ich die Brasilianerin. Was natürlich gleich zur Folge hat, dass man, egal wo man ist, etwas Heimweh hat. Man vermisst die Landschaft, das Essen, die Familienangehörigen und Freunde, die im jeweils anderen Land sind. Saudade, dieses so prägende portugiesische Wort, wird zum allgegenwärtigen Begleiter.
Und wie geht man dann damit um? Nun ja, man freut sich jedes mal, wenn man in irgendwelchen Shops in der neuen Heimat Dinge aus der alten Heimat findet und muss sie unbedingt kaufen (z. B. die Bum-Bum-Creme oder die Augen-Creme mit Parakresse). Auch versuche ich dauernd, Gerichte und Süßigkeiten aus der alten Heimat nachzukochen. Mein Vater, der sonst immer der absolute Gegner von Samba war, hört ihn nun gern bei einer Caipirinha. Und sowieso kommt man sofort mit allen Brasilianern ins Gespräch, wenn man irgendwo etwas brasilianisches Portugiesisch hört. Das sind alles Dinge, die funktionieren. Aber wenn man in Brasilien mit Mülltrennung anfängt, hat man wenig Erfolg.
Am überraschendsten fand ich jedoch, was man tatsächlich vermisst. Irgendwie sind es genau die Dinge, die man geliebt hat (völlig logisch) und die, die man gehasst hat (warum zum Geier bloß?). Fragt mich nicht, ich bin selbst überrascht darüber, mit wie viel Nostalgie ich an Schuluniformen und Cajú-Saft denke. Aber auch das zeigt nur, wie sehr man innerlich zerrissen ist, zwischen den beiden Welten.
All diese Sehnsucht bedeutet aber nicht, dass ich Deutschland nicht zu schätzen wüsste. Ich schätze und liebe es, mit seiner schönen Landschaft, mit den Weihnachtsmärkten, mit den klaren Bergseen, mit Nord- und Ostsee, auf die Minute genauen Fahrpläne und relativ pünktlichen Verabredungen.
Ich schätze, meine Lebensaufgabe ist es einfach, aus diesen beiden Hälften ein Ganzes zu machen. Große Aufgabe. Schöne Aufgabe. Ich freue mich.